In Perpignan ist dieser Tage zu bestaunen, wie angsteinflößend die winterliche Dürre in Südfrankreich wirkt: An einem Samstag im März nahmen dort rund 1000 Landwirte und Bürgerinnen an einer Prozession teil, bei der sie einen Schutzheiligen um Regen baten. Rund 200 Jahre hatte es diesen religiöse Hilferuf nicht mehr gegeben; schließlich ist Frankreich ein säkularer Staat, in dem diese Art von Glaubensbekenntnis verpönt ist. Aber nun, nach weit mehr als 50 Tagen ohne nennenswerten Niederschlag, wussten sich die Südfranzosen nicht mehr anders zu helfen.
Initiator der Prozession war Georges Puig, ein Winzer, der durch eine Wanderung in den Bergen aufgeschreckt wurde: Er sah das niedrige Niveau in einem Staudamm, der üblicherweise die Ebene im Sommer versorgt, erzählt er im Gespräch mit der Autorin. „Da wusste ich: Diese Saison wird hart für uns Bauern werden, noch härter als 2022.“ Denn schon das vergangene Jahr ging als das trockenste in die Geschichte der Region rund um Perpignan ein. „Ich sehe es bereits kommen: Meine Traubenernte wird dieses Jahr gering ausfallen. Die Reben werden blühen, aber die Früchte ganz klein bleiben, geradezu winzig.“
Die Menschen in Frankreich erleben gerade eine so außergewöhnliche Situation, dass sie sogar ein neues Wort dafür fanden: Die Winterdürre. Die Flüsse sind nicht erst im Sommer, sondern schon im Februar trocken gefallen, die Trinkwasserversorgung ist in vielen Kommunen gefährdet. Inzwischen schlägt die Regierung täglich Alarm, hält Pressekonferenzen und Interviews zur Wassernot. Frankreich stehe eine „sehr, sehr schwere Zeit bevor“, sagt Umwelt- und Klimaminister Christophe Béchu. Er hat bereits die Präfekte aufgefordert, den privaten Wasserkonsum „ohne zu zögern“ einzuschränken.
Frankreich gilt unter Fachleuten als besonders betroffen vom Klimawandel. Der Weltklimarat IPCC prophezeit für Südwest- und Südostfrankreich bei einer Erderwärmung von zwei Grad Celsius bis zu zehn Prozent weniger Niederschlag. Bei vier Grad Erwärmung könnten bis 2100 sogar bis zu rund 40 Prozent des Niederschlages fehlen.[2] Hinzu kommt, dass durch zunehmende Hitze auch mehr Wasser aus der Landschaft verdunsten kann, was die Trockenheit weiter verstärkt.
Dabei ist schon die aktuelle Lage dramatisch. Erst kürzlich gab Umweltminister Béchu bekannt, dass in den vergangenen Monaten in mehr als 500 Kommunen kein Wasser mehr aus den Leitungen kam – dort mussten Zisternen mit Tanklastern befüllt werden und manche Haushalte behelfsweise mit Wasser aus Plastikflaschen- und Kanistern auskommen. Eine beeindruckende Zahl, von der die Regierung, so räumte der Minister gegenüber der Tageszeitung „Le Monde“ ein, bis dato keinen Überblick hatte.
Allerdings wird gerade letzteres in Frankreich besonders schwierig: Der größte industrielle Konsument dort ist die Atomkraft – sie verbraucht nach Angaben des Umweltministeriums rund 30 Prozent des insgesamt genutzten Wassers. Während bestimmte Reaktorlinien das meiste Wasser – erwärmt vom Kühlungsprozess im Reaktor – wieder zurück an die Flüsse geben, entweicht es bei anderen als Wasserdampf in die Luft. So muss Frankreich in trockenen Zeiten nicht nur um seine Ernte, sondern auch um seine Energieversorgung fürchten: Das Land ist zu rund 70 Prozent von Atomstrom abhängig. Nirgendwo sonst ist die AKW-Dichte so hoch. Die nuklearen Meiler müssen aber Flüsse anzapfen, um ihre Reaktoren zu kühlen. Das für sie verfügbare Flusswasser wird in der Klimakrise jedoch durchschnittlich weniger werden. Hydrologen gehen davon aus, dass die Rhône, der größte Fluss Südfrankreichs, an dem fünf Kernkraftwerke stehen, bis 2050 im Schnitt bis zu 40 Prozent weniger Wasser führen wird.[
Da scheint es erst einmal leichter, den Regengott anzurufen. „Uns bleibt nichts anderes übrig“, sagt der Initiator der Prozession in Perpignan, Georges Puig. Was hätten sie schon zu verlieren? Er habe vier Bauern gesucht, um die Figuren zu tragen, gemeldet hätten sich mehr als dreißig. Den Landwirten, die in der Region Pfirsiche und Aprikosen anbauen, gehe es noch schlechter – immerhin hätten seine Weinstöcke sehr lange Wurzeln, die meisten würden hoffentlich überleben. Die Obstbäume aber drohten komplett einzugehen.
„Da lohnt es sich doch, die Götter anzurufen“, sagt Puig. Und so brachten die Teilnehmer die Reliquie des heiligen Gaudérique bis zum Fluss Têt. Die vier Träger der Statue konnten den wichtigsten Fluss der Region zu Fuß durchqueren – er ist nur noch ein schmales Rinnsal.
von Annika Joeres