Eine Branchenuntersuchung gibt dem Lebensmittelhandel keine Schuld an teuren Lebensmittel. Die Politik soll sich entschuldigen. Doch Agrarminister Totschnig sieht das etwas anders.
Auf den ersten Blick sieht es wie ein Freispruch für den österreichischen Lebensmittelhandel aus. Doch die Analyse der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) deckt auch einige schwarze Flecken auf der weißen Weste der Lebensmittelhändler auf. Zur Rolle der Landwirte äußern sich die Wettbewerbshüter nur kurz. Sie konnten bei den steigenden Erzeugerpreisen und Kosten verzeichneten zumindest zeitweise ihre Rentabilität erhöhen. Doch der Reihe nach.
In ihrem Endbericht zur Branchenuntersuchung in der Lebensmittelwertschöpfungskette, der am Freitag (3.11.) erschien, stellte die Bundeswettbewerbsbehörde fest, dass der LEH nicht schuld sei, für den deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. In der Untersuchung ist allerdings keine Produktgruppe von Preisanstiegen verschont geblieben ist. Insbesondere waren Butter, Margarine und Mischfette davon stärker betroffen. Verkaufspreise von Eigenmarkenprodukte sind laut BWB vergleichsweise stärker gestiegen als Verkaufspreise von Markenprodukten.
„Der BWB-Endbericht widerlegt schwarz auf weiß die unsachlichen Anschuldigungen von Teilen der Bundesregierung und so mancher Oppositionspartei. Der Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde beweist nun das Gegenteil. Wir wurden zu Unrecht beschuldigt, daher erwarten wir uns von der Politik eine sofortige Entschuldigung“, so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Beim Lebensmittelgipfel im Mai 2023 hatten einige Politiker den LEH zum „Sündenbock“ für die Inflation bei Lebensmitteln gestempelt.
Bundesagrarminister Norbert Totschnig sitzt allerdings nicht auf der Anklagebank des LEH. Dennoch sieht er den Handel aber nicht als Unschuldslamm. „Nichtsdestotrotz: Entlang der Lebensmittelkette herrscht ein Kampf mit ungleichen Waffen“, so der ÖVP-Minister. Mehr als 110.000 Bäuerinnen und Bauern und eine Vielzahl von Lieferanten stehen vier großen Handelskonzernen Spar, Rewe, Hofer und Lidl gegenüber, die 91 % des heimischen Marktes kontrollieren. Laut BWB ist die Konzentration zuletzt aber nicht mehr gestiegen. Zudem sei die Konzentration nicht verantwortlich für den Anstieg der Preise. Für Totschnig ist aber klar: Dieses Ungleichgewicht führt zu harten Preisverhandlungen, drohenden Auslistungen oder aufgezwungenen Vertragsbedingungen. „Vier von zehn Lieferanten geben an, von sogenannten schwarzen Praktiken betroffen zu sein – eine hohe Dunkelziffer“, warnt Totschnig.
Um Lieferanten im Kampf gegen unfaire Handelspraktiken zu schützen, hatte die Regierung das unabhängige Fairness-Büro eröffnet.
Als weiteres Problem sieht der ÖVP-Politiker den zunehmenden Anteil an Eigenmarken im Lebensmitteleinzelhandel. Damit steiget nicht nur die Verhandlungsmacht der Handelskonzerne, sondern auch die Austauschbarkeit von heimischen Lebensmitteln und Produzenten. So kann es nach Totschnigs Meinung vorkommen, dass ein Handelskonzern von einem Produktionsbetrieb einen gewissen Produktionsanteil für seine Eigenmarke in gleicher Qualität verlangt, aber mit deutlich geringerem Preis. Bei Verweigerung drohe die Auslistung des Markenproduktes.
Ähnlich wie das Fairness-Büro kommt auch die BWB zum Schluss, dass viele Lieferanten, auch Landwirte, von unfairen Handelspraktiken betroffen sind. So waren gut 14,3 % der Lieferanten mit einseitigen Vertragsänderungen konfrontiert. 13,6 % mussten Zahlungen leisten, die nicht in Verbindung zu Lieferungen standen. Fast ebenso viele (13,4 %) machte der Handel für unverschuldeten Qualitätsverlust haftbar. Die BWB will daher solche unlauteren Handelspraktiken mit hoher Priorität bekämpfen. Weiters raten die Wettbewerbshüter, das Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetzes zu verschärfen.
Bauernbundpräsident Georg Strasser begrüßt es, dass die BWB dem Handel genauer auf die Finger will. Er sieht das Fairness-Büro steht für Bäuerinnen und Bauern als einen starken Partner, um unfaire Handelspraktiken aufzuzeigen und die Kräfteverhältnisse am Verhandlungstisch zu ändern.“
Laut Handelsverband haben internationale Markenhersteller besonders abgesahnt. Diese hätten 2022 und auch im ersten Halbjahr 2023 teils exorbitante Gewinne erzielt, während die Ergebnisse und Umsätze im österreichischen Lebensmittelhandel eingebrochen sind. Daneben stellten die Wettbewerbshüter einen „Österreich Preisaufschlag fest“. So würden internationale Lebensmittelkonzerne für gleiche Produkte entsprechend ihren Länderstrategien teilweise unterschiedliche Preise verrechnen. Diese Strategien können laut BWB ein wesentlicher Faktor für unterschiedliche Lebensmittelpreise und damit höhere Preise in Österreich sein. Im Klartext: Diese Lebensmittelkonzerne verrechnen dem LEH in Österreich systematisch höhere Preise als etwa dem LEH in Deutschland. Die BWB will dieses Ergebnis rasch an die Europäische Kommission übermitteln.
Die BWB sieht indes bei Landwirten aufgrund des anhaltenden Strukturwandels eine zunehmende Konzentration. So ist die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe im Vergleich zum Jahr 2010 um 21% gesunken, womit die Konzentration steigt. Landwirtschaftliche Betriebe sind aus Sicht der Wettbewerbshüter stark von internationalen Preisentwicklungen in den Verhandlungen über Preise abhängig. Die steigenden Energiepreise führten zu erheblichen Mehrkosten. Trotzdem konnten landwirtschaftliche Betriebe ihre Rentabilität überwiegend steigern.
Für den niederösterreichischen Bauernbund zeigt die Analyse klar, dass die österreichischen Bäuerinnen und Bauern für steigende Preise im Lebensmittelregal nicht verantwortlich gemacht werden können und keine Schuld an der Teuerung tragen. In erster Linie sind laut BWB die gestiegenen Energiepreise sowie Konzernmultis, wie etwa große, internationale Lebensmittelkonzerne verantwortlich, welche in Österreich höhere Preise verlangen, verantwortlich.
„Unsere Bäuerinnen und Bauern sind keine Preistreiber und nicht die Ursache der gestiegenen Lebensmittelpreise,“ fühlt sich NÖ Bauernbunddirektor Paul Nemecek bestätigt. von Josef Koch