Der letzte Ratschenbauer: Wie Ernst Ribisch eine Tradition rettet

Wenn die Kirchenglocken schweigen, schlägt die Stunde der Ratschen. Ernst Ribisch aus dem Weinviertel baut sie noch. Manche sind so klein wie eine Kinderhand, andere messen zwei Meter. Ratschen haben eine lange Tradition.

Die Leidenschaft fürs Ratschen begann für Ernst in seiner Kindheit. Als Ministrant zog er in den Kartagen stolz und aufgeregt mit knatternder Schubkarrenratsche durch den Heimatort. Die allerdings war nur geliehen. „Sie hat schon gewackelt und gescheppert, als wir weggegangen sind. Und nach dem Ratschen war sie völlig kaputt“, erinnert sich der letzte Ratschenbauer des Weinviertels. Die schlechten Straßen, das unebene Kopfsteinpflaster und die vielen Wasserlachen setzten der Ratsche ordentlich zu. Jeden Abend wurde sie notdürftig geflickt – mit dem, was gerade da war, etwa den dünnen Latten hölzerner Obstkisten. Damals hat sich Ernst Ribisch geschworen: „Wenn ich groß bin, baue ich mir selbst eine Ratsche, wie sie mir gefällt.“

Mit 19 Jahren setzte er seinen Kindheitstraum in die Tat um. Ein uralter Tischler aus dem Nachbarort gab wertvolle Tipps, und Ernst lernte, gebrauchte Ratschen wieder zum Klingen zu bringen. Doch damit nicht genug: Er wollte die perfekte Ratsche bauen. Dafür experimentierte der gelernte Maurer lange und intensiv mit Formen und Holzarten. Er baute sich einen Prototyp, um verschiedene Hölzer für die Zungen auszuprobieren – die schnattern nachher über die Walze und sorgen für den richtigen Klang. Gut getrocknete Esche erwies sich als sein Favorit: Sie ist zäh und elastisch. Für die Walze kommt nur eines infrage: ein mindestens zehn Jahre getrockneter Eichenstamm ohne Kern- und Splintholz. „Der ist hart wie Bein“, sagt Ernst. „Man kann ihn millimetergenau drechseln und dann im perfekten 30-Grad-Winkel messerscharf auf der Bandsäge zuschneiden.“ Links und rechts setzt er stabverleimte Eichenräder an – mit einem Blechring drumherum, damit sich die Räder gleichmäßig abnutzen.

Auch Martina Erlacher spürt das große Interesse der nächsten Generation. Sie ist Bundesvorsitzende der Katholischen Jungschar Österreichs und Herausgeberin einer Broschüre rund ums Ratschen. Natürlich zog auch sie als Mädchen in den Kartagen durch ihren Heimatort. „Unvergessen ist für mich der Moment, als wir die große Ratsche der Pfarre ankurbeln durften und damit im gesamten Pfarrgebiet hörbar die Messen ankündigten. Gleichzeitig war es ein schönes Gemeinschaftserlebnis“, erzählt sie. Für Erlacher steht fest: Ratschen ist nicht nur zeitgemäß, sondern sogar zeitlos. „Kinder erleben dabei: Mein Tun hat Bedeutung – in der Pfarre und im Glauben“, erklärt sie ein wichtiges Ziel der Jungschar.

Der Ursprung des Ratschens

Von Gründonnerstag bis zur Auferstehungsfeier bleiben die Kirchenglocken stumm – angeblich, weil sie nach Rom fliegen, um geweiht zu werden. In dieser Zeit ziehen die Ratschenkinder mehrmals täglich durch die Dörfer und laden die Gläubigen zum Gebet ein: „Wir ratschen, wir ratschen den englischen Gruaß, den jeder katholische Christ beten muass. Fallts nieder, fallts nieder auf eure Knie, bets drei Vater unser und ein Ave Marie!“

Volkskundlerin Johanna Paar berichtet, dass sich die Sprüche regional stark unterscheiden: „Manche Betreuer der Ratschenkinder haben eigene Verse geschrieben, weil immer weniger Kinder und Gläubige den ‚Englischen Gruaß‘ kennen.“ Es gebe auch Pfarren, in denen es üblich ist, dass die Kinder statt um Geld um ein rotes Ei bitten, dann wird der Spruch adaptiert. Die Ratschen werden mit Bändern, Buchs und Heiligenbildern geschmückt. Nachdem die Ratscher ihren Dienst getan haben, klappern sie alle Häuser ab und bitten um Ostereier, Süßigkeiten oder Geld.

Der Brauch vereint ein religiöses Ereignis mit einer volkskulturellen Praktik. Die Bevölkerung wollte mit dem Lärm den Tod und böse Geister vertreiben und zum Gebet aufrufen. Eine päpstliche Vorschreibung zum Ratschen gab es jedoch nie. Das Ratschengehen der örtlichen Jugend ist ab dem 18. Jahrhundert bekannt. War es früher üblich, dass nur Ministranten ratschten, gehen Mädchen und Buben heute gleichberechtigt.

Das Ratschen ist in den katholischen Regionen Österreichs und Deutschlands verbreitet, auch in Luxemburg, in Südtirol und in der Umgebung von Triest. von Manuela Göll Bild