Die Endemie ist ein falsches Freiheitsversprechen

Endemie ist in der Pandemie das Zauberwort, das Freiheit verheißt. Aber das ist leider ein Missverständnis.

Von

  • Jo Schilling

Ob es wohl daran liegt, dass das Wort „Ende“ in endemisch steckt, dass so viele Hoffnungen auf diesem Begriff ruhen? Es heißt immer: Wenn wir nur erst von der pandemischen in die endemische Lage übergehen, dann… Ja, was dann?

Der Begriff „Endemie“ geistert durch die virologische und politische Landschaft als Hoffnungsmarker, dabei heißt endemisch überspitzt nichts weiter als: Die Krankheit bleibt in der endemischen Region. Und zwar dauerhaft. Definiert ist die Endemie dadurch, dass die Zahl der Krankheitsfälle in einer Region erhöht, aber etwa konstant ist. Das Kriterium ist dabei nicht, dass nur Wenige leicht erkranken, wie der inflationäre Gebrauch der „endemischen Lage“ suggeriert. Das Kriterium ist ein konstantes Niveau von Kranken, das auch durchaus hoch sein kann.

Ganz so einfach ist das nicht, wenn es um Infektionserreger geht. Das perfekte Beispiel für eine solche Endemie ist sicher die Malaria: Sie ist räumlich begrenzt durch den Verbreitungsraum der Anopheles-Mücke, die den Malaria-Erreger auf Menschen überträgt. Die Moskitos sind stets präsent, es gibt keine ausgeprägten saisonalen Effekte. Endemisch heißt in diesem Fall allerdings auch, dass in der afrikanischen Subsahara-Region im Jahr 2020 um die 240 Millionen Menschen an Malaria erkrankt und etwa 600.000 daran gestorben sind. Das zeigt sehr deutlich, worüber das Wort endemisch nichts sagt: über die Schwere des Krankheitsverlaufs, über die Zahl der Erkrankten und über die der Toten. Auch die Pocken waren endemisch, Polio ist es nach wie vor. Und niemand wird wohl behaupten wollen, dass diese Krankheiten harmlos sind.

Ein entscheidender Unterschied zwischen Malaria und COVID-19 ist natürlich, dass es für SARS-CoV-2 einen wirksamen und zugelassenen Impfstoff gibt. Dass endemische Zustände durch gute Impfstoffe beendet werden können, zeigen die Pocken und Polio. Zwar ist Polio noch nicht eradiziert, so wie die Pocken, aber das hat eher politische als medizinische Gründe. Aber SARS-CoV-2 ist eben ein anderes Virus. Eines, das sich rasant verändert und so dafür sorgt, dass die Impfstoffe nur eine gewisse Halbwertzeit haben. Das haben die letzten Monate eindrücklich gezeigt.

Gerne wird darauf verwiesen, dass es verschiedene Corona-Viren gebe, die ebenfalls endemisch wären und nur einen ordinären Schnupfen auslösen. Dabei schwingt die Hoffnung mit, dass es mit SARS-CoV-2 ähnlich laufen könnte. Aber diese Corona-Erkältungsviren nehmen auch ohne Impfung keine Leben – zumindest nicht als alleinige Ursache. Sie sind harmlos und kosten uns nichts weiter als ein paar Tage Unwohlsein und unzählige Taschentücher.

Weshalb durchaus auch Experten von einer Zukunft des SARS-CoV-2 als neuer Erkältung sprechen, es ist mitnichten deren Glaube daran, dass das Virus sich abschwächen wird. Soweit wir wissen, sind Mutationen Zufall und es setzen sich diejenigen Mutationen durch, die dem Virus einen Vorteil verschaffen. Den Vorteil, sich effizient zu verbreiten. Tötet das Virus schnell, entzieht es sich selbst die Existenzgrundlage, denn ein toter Wirt verbreitet keine Viren. Sackgasse. Aber ein langsam über Wochen auf der Intensivstation sterbender Mensch ist durchaus ein guter Wirt. Er hat noch viel Zeit, das Virus unter die Menschen zu bringen.